Buchstabengenaue Abschrift aus der Weser-Zeitung vom 27. Juni 1927

Rennfahrt: Rund um Rotenburg

Zwei Fahrer verletzt. --- Vier Wagen in Trümmern!


Das traditionelle Sommerrennen des Nordwestdeutschen Automobil Club, Ortsgruppe Bremen des A.D.A.C., allgemeiner besser bekannt unter dem Motto „Rund um Rotenburg“, kam am gestrigen Sonntag unter schweren Bedingungen bei Sturm und Regen zum Austrag. Eigentlich ist die Bezeichnung „Rund um Rotenburg“ nicht ganz berechtigt, denn die Rennstrecke schließt das Städtchen Rotenburg nicht in sich. Sie verläuft vielmehr unter Ausnutzung moderner Landstraßen südlich des Ortes in Form eines unregelmäßigen Rechtecks, in dessen Winkeln die Gehöfte, bezw. Dörfer Kalandshof, Wittorf, Kirchwalsede und Auf der Bünte liegen. Inmitten dieses Rechtecks befindet sich der malerische Bullensee. --- Gerechterweise müßte man das Rennen also nennen „ Rund um den Bullersee!“ --- Für Rotenburg selbst war die Fahrt, wie schon alljährlich seid 1907, „das Ereignis“ des Sommers. Kranzgewinde spannten sich über die Straßen, viele Häuser hatten geflaggt, und die Gasthöfe waren nach außen hin im Innern festlich geschmückt.

Bereits am Sonnabend abend waren zahlreiche Rennteilnehmer, besonders die aus Bremen und Hamburg, bei klarer und warmer Witterung in Rotenburg eingetroffen, wo gegen 9 Uhr die Fahrerbesprechung abgehalten wurde. Gegen Mitternacht setzte ein feiner Sprühregen ein, den man allseits als eine vorübergehende Störung einschätzte, da der amtliche Wetterbericht für den nächsten Tag nicht gerade ungünstig lautete. Jedoch goß es um 6 Uhr in der Frühe beim Beginn der Fahrzeugabnahme in Strömen. Der von heftigem Sturmwind begleitete Regen ließ erst gegen 3Uhr nachmittags nach, just in dem Moment, als die Oberleitung mit der Meldung „Rennen beendet!“ die bis dahin gesperrten Straßen wieder für den Verkehr freigab.

Die Leitung der Fahrt lag in den Händen des Präsidenten des Nordwestdeutschen Automobil Clubs, Ortsgruppe Bremen, R.Tegtmeyer, dem Vizepräsident Lührig zur Seite stand. Rein organisatorisch war die ganze Sache vorbildlich aufgezogen. Wenn sich trotzdem Unfälle ereigneten, die Schäden zeitigten an Material und Fahrern, so lag das lediglich an dem schlechten Zustand der durch ununterbrochenen Regen verschlammten Straßen und dem schwierigen, von gefährlichen Kurven reich durchzogenen Gelände. In musterhafter Weise versah die Landgendarmerie, unterstützt durch die Feuerwehren der an der Rennstrecke liegenden Orte, den Absperrdienst.

Der Start

(gleichzeitig auch Ziel der Schleifenfahrt) lag zwei Kilometer vor Rotenburg an der Straße nach Visselhövede. Die Motorräder (37 an der Zahl) starteten um 6 Uhr morgens. Als erster fuhr König, Hamburg (auf DKW-Kompr.). Er rundete auch die Startstelle als Erster. Die Motorräder starteten in sechs Klassen. Wegen der mit Schlamm und Wasserlachen bedeckten Wege wurden besonders günstige Zeiten nicht erzielt. Im Durchschnitt gebrauchten die Fahrer zum Zurücklegen der 37 Kilometer langen Chausseelinie 40 Minuten. Bei früheren Rennen, die unter günstigeren Witterungsverhältnissen ausgefahren werden konnten, war es besonders guten Fahrern gelungen, die Strecke in 21 bis 22 Minuten zurückzulegen.Die Motorräder der Klasse A, (bis zu 350 ccm) mußten das Straßenrechteck viermal umfahren.Für schwerere Maschinen (bis zu über 750 ccm) war sechsmaliges Runden vorgeschrieben. Es wurde recht guter Sport gezeigt und mit Entschlossenheit und Zähigkeit gefahren. Bereits in der ersten Runde stürzte in der Kurve an der Römerschanze Hans Rainer, Hamburg (F.N.) der beste Fahrer des Vorjahres. Er wurde mit gebrochenem Schlüsselbein aus der Bahn getragen. Kurz vor 11 Uhr endete das Motorrad-Rennen.

Das Rennen der Kraftwagen

begann eine Viertelstunde später. Als erster startete in der Klasse „A-Tourenwagen“ Schöning, Hannover-Linden auf Hanomag. Auch eine junge Dame, Alice Rust, Bremen, startete auf Fiat. Der Start der Schnellwagen bot ein imposantes Bild. Wie ein Wetter preschten die Fahrzeuge durch das regenfeuchte Gelände, schon nach wenigen Minuten untertauchend in dichtem Nebel. Als erster rundete Dr. Schott, Hannover auf Bugatti nach 27 Minuten. Später streifte er, in der Nähe von Kichwalsede ins Gleiten kommend, einen Chausseebaum. Der Wagen überschlug sich. Dr. Schott kam ohne erhebliche Verletzungen davon. Das Fahrzeug mußte, arg zersplittert, auf der Strecke zurückgelassen werden. Weitaus mit am besten fuhr J. Knecht, Elmshorn auf Austro-Daimler. Alfred Samit, Hamburg (Austro-Daimler) kam in der Nähe der Gehöftsgruppe „Auf dem Adel“ ins schleudern. Der Wagen blieb stark beschädigt liegen. Etwa 50 Meter davon kamen Albert Bußmann, Hamburg auf Chrysler und ein kleiner Opelwagen derart zu Bruch, daß sie bewegungsunfähig blieben.Eine in einem dieser Wagen als Beisitzerin fahrende junge Dame wurde regelrecht durch die Windschutzscheibe geschleudert und erlitt Schnittwunden im Gesicht, ohne sonst Schaden zu nehmen. Eigenartigerweise kam von den Insassen der übrigen Fahrzeuge niemand zu Schaden. Kersting, Bremen, wäre um ein Haar in voller Fahrt auf die „Wracks“ der hier den Weg versperrenden Rennwagen aufgerannt. Er rettete sich dadurch, daß er in voller Fahrt in ein Kornfeld hineinjagte. Dann half er beim Beiseiteräumen der Trümmer und sprang wieder in das Rennen ein, daß er in der Klasse F ( Sportwagen bis 1500 ccm ) auf Bugatti siegreich bestritt. Vorbildlichen Sportsgeist bewies Bremens oft siegreicher Meisterfahrer John Meinken, der in siegverheißender Fahrt die erwähnte Unfalstelle passierend sich sofort kameradschaftlich entschloß, bei der nächsten Zielrunde zu halten, und den Arztwagen in Bewegung zu setzen. Er erlitt so einen Zeitverlust von etwa 10 Minuten.

Am Start hatte sich inzwischen ein weiterer bedauerlicher Unfall ereignet. Der bekannte Zielrichter W. Jensch wurde von einem in zu flottem Tempo in die Startlinie einschiebenden Mercedes-Kompr. angefahren und zum Sturz gebracht. Jensch erlitt erhebliche Beckenverletzungen. Er wurde in das Krankenhaus zu Rotenburg und nach einigen Stunden weiter in das Große Krankenhaus zu Bremen überführt.

Alles in allem war dieses Rennen eine der verwegensten und gefahrvollsten Fahrten, die je in der Rotenburger Gegend ausgetragen wurden. Das Rennen erhielt dadurch besondere Bedeutung, daß der Regierungspräsident des Reg.-Bez. Stade, Dr. Rose, ihm beobachtend beiwohnte, ebenso der Landrad v. Lossow.

Erwähnenswert ist noch, daß H. Krebs auf Mathis, dem kleinsten Wagen der „Klasse G“ den zweiten Preis zu aller Verwunderung holen konnte, obwohl alle Klassenwagen um 4 PS stärker waren als sein Fahrzeug. Mit dem gleichen Tourenwagen hat Krebs am 19. Juni auf dem Nürburg-Ring in der Sportwagenklasse den 5. Rang belegt.

Bei der Preisverteilung dankte der Regierungspräsident Dr. Rose den Siegern für ihre überragenden Leistungen und brachte zum Ausdruck, daß der bei schlechtem Wetter an den Tag gelegte Schneid Bewunderung erheische. Solange noch deutsche Männer derartig entschlossenen Mut bei schwierigstem Kampf mit den Tücken von Maschine und Wetter an den Tag legen, sei ihm um die Zukunft Deutschlands nicht bange. Die Regierung in Stade werde bestrebt bleiben, den Motorsport in jeder Beziehung nach Kräften zu fördern. (Bravo)

Die Preisergebnisse

waren folgende:

Motorräder.

Klasse 6 bis 175 ccm: Senioren
1.
Rich. König, Hamburg auf DKW Kompr.
2.04,33
    Junioren
1.
Heinrich Higers, Rotenburg auf DKW
3.11,00
     
2.
H. W. Niemeyer, Hamburg auf DKW
3.51,55
Klasse A bis 250 ccm: Junioren
1.
Arnold Stölting, Hamburg auf PSW
2.30,16
     
2.
Edm. Will, Bremen auf Zündapp
2.47,21
Klasse B bis 350 ccm: Senioren
1.
Arthur Lohse, Chemnitz auf Schüttorf
3.05,36
     
2.
Anton Mazzurana, Hannover auf Harley Davidson
3.20,19
     
3.
Heinrich Murken, Lilienthal auf Hulla-Jap
3.50,25
    Junioren
1.
Heinz Windels, Bremen auf Ardie
3.29,50
     
2.
W. Tessari, Bremen auf Raleigh
3.47,40
     
3.
E. A. Mansius, Bremen auf Sarolea
3.50,29
Klasse C bis 500 ccm: Senioren
1.
Bruno Alswede, Hamburg auf AJS
3.59,15
     
2.
Herm. Rebhuhn, Hamburg auf BMW
3.28,10
    Junioren
1.
G. W. Ehlers, Altona auf AJS
3.59,00
     
2.
Karl Dorpmund, Bremen auf NSU
4.11,00
Klasse E über 750 ccm:  
1.
Heinr. Biebrock, Lilienthal auf Harley Davidson
3.27,29

Die Klubmeisterschaft für Motorräder erwarb Dorpmund, Bremen.

Motorräder mit Beiwagen

Klasse F bis 600 ccm:
1.
D. v. Hollen, Bremen auf Victoria
4.16,40
Klasse G über 600 ccm:
1.
Fritz Immohr, Bremen auf Harley Davidson
3.25,35
   
2.
Paul Friedrichs, Bremen auf Harley Davidson
3.22,52

Paul Friedrichs errang den 2. Preis, da er als Senior 5 Pzt. Vorgabe bewilligte. Die Senatsmedaille errang Heinz Windels, Bremen; die Preismünze des Regierungspräsidenten Arthur Lohse, Chemnitz. Letzterer erreichte gleichzeitig die schnellste Fahrt des Tages für Motorräder.

Einen Sonderpreis für schnellste Zeit für Motorräder mit Beiwagen erhielt Paul Friedrichs, Bremen

Motorwagen.

Tourenwagen bis 525 ccm:
1.
Fritz Schöning, Hannover Hanomag
2.23,27
  bis 1155 ccm:
1.
Kaptl. Niemann, Wilhelmshaven Pluto
2.06,33
   
2.
H. Krebs, Lilienthal Mathis
2.11,17
  bis 2100 ccm:
1.
Otto Prädel, Bremen OM
2.05,14
  Trostpreis
Alice Rust, Bremen Fiat
2.23,42
  bis 2800 ccm:
1.
Ed. Nordhausen, Wilhelmshaven Stoewer
3.01,39
   
2.
H. U. Fischer-Schierholz, Hamburg Lancia
3.14,51
  bis 4200 ccm:
1
J. H. Lerch, Hannover Mercedes Benz
3.03,27
Sportwagen bis 1100 ccm:
1.
Herbert Gumpredt, Hamburg Amilca
1.59,23
  bis 2000 ccm:
1.
J. H. Kersting, Bremen Bugatti
2.46,39
  bis 3000 ccm:
1.
J. Knecht, Elmshorn Austro Daimler

2.29,33


Die Senatsmedaille errang Kaptl. Niemann, Wilhelmshaven; die Preismünze des Regierungspräsidenten Ed. Nordhausen, Wilhelmshaven. Die schnellste Zeit des Tages für Motorwagen erreichte J. Knecht, Elmshorn und errang hiermit den Kaffee-Hag-Pokal, sowie die diesjährige Anwartschaft auf den Olex-Herausforderungspreis.

zurück